Wo ist Cees Nooteboom? – Ein Besuch bei dem großen niederländischen Schriftsteller auf Menorca

Seit Jahren ist es still geworden um Cees Nooteboom. Seit 2021 zeigt er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Vor kurzem ist in den Niederlanden ein Buch erschienen, in dem der Schriftsteller Thomas Heerma van Voss Gespräche mit jenen Autorinnen und Autoren versammelt, die 1977 ein Selbstporträt an die Literaturzeitschrift De Revisor schickten – auf Bitte der Redaktion. Einer von ihnen war Cees Nooteboom.

Im Juni schrieb Thomas Heerma van Voss auf seiner Facebook-Seite, er habe Cees Nooteboom kürzlich besucht. In dem nun erschienenen Buch wird deutlich, dass es alles andere als einfach war, den 92-jährigen Autor zu erreichen. „Seine Verlage haben meine Interviewanfragen in den vergangenen Jahren stets abgewiesen“, notiert Heerma van Voss. Schließlich gelingt es ihm über das niederländische Literaturmuseum, Kontakt zu Nootebooms Ehefrau aufzunehmen, der 72-jährigen Fotografin Simone Sassen. Sie macht jedoch sofort klar: Ein Telefoninterview sei ausgeschlossen. Wer mit Nooteboom sprechen wolle, müsse nach Menorca reisen. Und genau so kommt es.

Vor Ort jedoch wird der Termin zunächst immer wieder verschoben. Nooteboom leidet unter Atembeschwerden und muss sogar mit dem Krankenwagen ins Hospital gebracht werden, heißt es in dem Buch. Zurück zu Hause schläft er die meiste Zeit. Nach vier Tagen steht Heerma van Voss kurz davor, die Insel unverrichteter Dinge zu verlassen – da kommt endlich der erlösende Anruf: Er darf doch noch vorbeikommen.

Heerma van Voss trifft Nooteboom schließlich im Rollstuhl an. Er wirke, so schreibt er, „gepflegt, mit grauem Haar, glatt rasiert, ein Pullover über dem Hemd“ – genau so, wie er ihn in Erinnerung hatte. Bewegend ist zu lesen, dass Nootebooms Sprache während des Gesprächs knapp, mitunter schwerfällig geworden sei. Ich selbst habe Nooteboom zuletzt 2013 persönlich erlebt: einmal in Geschwend, einmal im Berliner Ensemble. Damals wirkte er lebendiger denn je. Mit seinen achtzig Jahren wirkte er wie der Jüngste auf der Bühne, zusammen mit Adam Thirlwell und Hans Jürgen Balmes. Mit sichtbarer Freude streute er Anekdoten ein, etwa über seine enge Freundschaft mit Mary McCarthy.

Auf Menorca erzählt Nooteboom, wie er vor sechzig Jahren auf die spanische Insel kam. Er betont, wie großartig er das Leben dort findet, und spricht über Vergangenes: „In den siebziger Jahren habe ich viel für Avenue geschrieben. Ein wunderbares Magazin. Ich war begeistert von diesen Leuten. Ich konnte dort machen, was ich wollte – großzügiges Budget, viel Raum für Reisen. Viele dieser Texte haben später in anderer Form auch in meinen Büchern ihren Platz gefunden. Aber das Seltsame war: die intellektuelle Szene in den Niederlanden schaute auf dieses Blatt herab. Man verachtete mich deswegen.“

Diese Bemerkung erinnert mich an die deutsche Literaturszene, wo sich Ähnliches abspielt. Während der Arbeit an einem Essay für eine flämische Zeitschrift über Daniel Kehlmann und sein Werk las ich, dass die Süddeutsche Zeitung laut dem Literaturwissenschaftler Joachim Rickes „eine wichtige Stimme im Anti-Kehlmann-Konzert“ sei. Damals war es einzig die SZ, die schrieb, Ruhm sei in wesentlicher Hinsicht misslungen. Die FAZ und die NZZ hingegen zeigten sich überaus begeistert.

Was erfahren wir noch über Cees Nooteboom im Jahr 2025? Er genießt die Natur um sich herum, findet es absurd, dass der niederländische Verlag De Bezige Bij seine Tagebücher nicht veröffentlichen wollte, und zeigt sich erfreut darüber, dass der Verlag Koppernik dies nun mit großem Interesse und echter Hingabe tut.

Heerma van Voss erhält von Sassen eine kleine Führung. Sie zeigt ihm das Schreibatelier mit dem großen Tisch und den ordentlich aufgereihten Büchern im Regal. „Hier wurde immer sehr intensiv gearbeitet“, sagt sie in Heerma van Voss’ Buch, „jetzt geschieht hier gar nichts mehr.“

Wir erfahren, dass Cees Nooteboom im heutigen Alltag viel Pflege benötigt und Sassen ihre Einkäufe deshalb weit im Voraus plant, damit sie das Haus nicht zu oft verlassen muss. Nooteboom begleitet sie dennoch zum Supermarkt. Dort kauft sie ihm zuerst eine spanische Zeitung, die sie zu ihm bringt, und erledigt dann so schnell wie möglich die Einkäufe. „In zehn Minuten schaffe ich es gerade noch – das geht eben so. Unser Leben hier ist eingeschränkt“, sagt sie zu Heerma van Voss.

In dem Beitrag De prullenmand heeft veel plezier aan mij wird auch Nootebooms literarisches Erbe thematisiert. Mitarbeiter des niederländischen Literaturmuseums waren bereits bei ihm, um darüber zu sprechen. Es geht um ein enormes Archiv, verteilt auf das Haus in Menorca und die Wohnung in Amsterdam. In der niederländischen Hauptstadt befinden sich auch seine Korrespondenzen mit Mary McCarthy. Im Gespräch erklärt Nooteboom, dass es für ihn keinen Grund mehr gebe, nach Amsterdam zurückzukehren. Dort gebe es zu viele Treppen. Sein Arbeitszimmer habe er seit Jahren nicht mehr betreten: „In Amsterdam kann ich – will ich – niemals im Rollstuhl sitzen.“

In dem ausführlichen Bericht ist auch kurz von den deutschen Gesammelten Werken die Rede. Nooteboom blättert darin. Heerma van Voss fragt ihn, ob die frühere Unsicherheit einer Art Stolz gewichen sei. Cees Nooteboom: „Stolz, nein … Das ist nie eine meiner ausgeprägten Eigenschaften geworden. Aber es ist interessant, all das noch einmal zu lesen. Ach ja, denke ich dann, wir haben eine Zeitlang in Paris gelebt, in Berlin, in Los Angeles beim Getty. Dort habe ich mit Allerzielen begonnen – das ist alles tatsächlich geschehen. Faszinierend, im Rückblick zu sehen, womit ich mich in den vergangenen siebzig Jahren beschäftigt habe.“

Thomas Heerma van Voss: De prullenmand heeft veel plezier aan mij. Das Mag Uitgeverij B.V., Amsterdam 2025.